Samstag, 8. September 2012

KOMMENTAR | Der Tag danach

von Richard Löscher

Eine schlicht gekleidete Dame mittleren Alters tritt durch eine übergroße Tür an ein Rednerpult und beginnt zu sprechen. Man könnte meinen, es handle sich um einen Vortrag zum Thema Gesundheit, der niemanden wirklich interessiert, der aber doch gut besucht wird. Doch die Dame, die da vor einer überraschend großen Menge von Zuhörern spricht, erzählt nichts von rhythmischer Sportgymnastik und schimpft auch nicht über Vitaminzusätze, ihre Worte entscheiden über die Zukunft unseres Landes.

Zugegeben, diese Beschreibung dramatisiert und ist überzogen, aber dennoch: Jubel und Enttäuschung lagen nah bei einander an diesem Nachmittag des 03. Septembers, als Wahlleiterin Ludmilla Hoch das Ergebnis der 224. Senatswahl bekannt gibt.
Was das Volk da entschieden hat, kommt einem Erdrutschsieg für die frisch gebackene Vorsitzende der UBK gleich und ist ein herber Schlag für den Staatskanzler. Während Mia Choulet und ihr Generalsekretär, der bisher relativ unbekannte Mark-Ole Wilhelmsson in die Kameras lachen und von einem "klaren Wählerwillen, einem Regierungsauftrag für die UBK" spricht, bleibt der Verlierer des Abends einsilbig bei einem Glückwunsch an die Gewinner: Staatskanzler Wilhelm von Graubünden verschwindet von dem Mikros, noch ehe der schnellste Reporter seine Frage zu Ende sprechen kann. Was dann an dem Abend geschah, wir wissen es nur auf der einen Seite: Die UBK feiert ihr Führungsteam, es fließt Alkohol in großen Mengen, es wird getanzt, gejubelt, es wird geplant. Staatskanzler von Graubünden allerdings verschwindet hinter den verschlossenen Türen der SLP-Parteizentrale in der FSB.

Man munkelt, die Delegierten des Parteirates und der Vorstand hätten ihm mehrheitlich das Vertrauen ausgesprochen, er habe die Verantwortung übernommen. Hier und da wird spekuliert, Graubünden wolle sich aus der Politik zurückziehen, andere reden davon, er plane, Staatspräsident Landerberg zu beerben, der sich eine Auszeit gönnen möchte, wenn seine Amtszeit ändert. Ob Partei und Wähler ihn lassen, ist fraglich und hängt sicherlich auch von seinem Freund Landerberg ab, der in letzter Zeit intern heftige Kritik gegen den Staatskanzler geäußert haben soll, dessen Amtsführung auch andere politische Freunde als Katastrophe bezeichnen. Und überhaupt, kann man es verantworten, als Wahlverlierer eine Bewerbung zum höchsten Staatsamt abzugeben, zumal im Falle eines Wahlsieges der Vorgänger als die politische Lichtgestalt des Jahrzehnts in die Geschichte eingehen dürfte?
Als Staatskanzler konnte Graubünden nicht an die Erfolge Landerbergs in diesem Amt anknüpfen, kann er es als Staatspräsident auf gewohntem Posten? - Wir wissen es nicht.

Momentan ist aber auch eine andere Frage wichtiger: Was wird aus der Staatsregierung?

Die UBK hat die SLP zu Verhandlungen eingeladen, die SLP folgt dieser Einladung und verweigert sich zudem - anders als der Wahlsieger - Verhandlungen mit der LABOUR, obwohl es ihre Option wäre, die Macht und das Staatskanzleramt in der Hand zu behalten. Insgesamt scheint die LABOUR nicht wirklich eine Option für Bergen. Zu radikal sind ihre Forderungen, zu diffus ihr auftreten.
Das die Vereinigung gerade in Noranda hohe Zuspruchswerte erzielte, dürfte vor allem an einem liegen, der die wiederholten Aufforderungen von Politikern anderer Lager, er möge sich doch zur Ruhe setzen, bisher immer ignoriert hat und auch bei dieser Wahl noch omnipräsent war, auch wenn er die LABOUR wohl zukünftig nicht mehr im Senat vertreten wird: Politik-Senior Harald Schmied wird nicht nur in Port Cartier als ein Held gesehen, seine Popularität reicht weit über die Grenzen seiner Heimatstadt hinaus, auch wenn er in den letzten Jahren nicht mehr an seine alten Zeiten anknüpfen konnte. Sein Name dürfte seinem Enkel geholfen haben, 20 Mandate im Senat zu erringen, auch ohne seinen Großvater auf der Liste. Trotzdem wird er keinen Einfluss nehmen, denn UBK und SLP werden sich auf eine große Koalition einigen und ich denke, das ist auch gut so.  

Richard Löscher (53) ist Vater zweier Kinder und seit Juli dieses Jahres auch Großvater. Der gebürtige Trübergener und Soziologe ist eines der bekanntesten Gesichter in Bergens Polit- und Talkshow-Szene. 


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